Windows 10 sammelt Benutzerdaten – was nicht nur im Netz, sondern auch in der iX-Redaktion zu kontroversen Diskussionen führt. Moritz Förster und Tilman Wittenhorst kommentieren Microsofts forcierte Cloud-Orientierung. Pro Endlich ist das Startmenü zurück und auch sonst hat Microsoft wieder auf seine Kunden gehört. Nach einer langen Preview-Phase mit Anwenderbeteiligung konnte sich der Konzern kaum über ihren Willen hinwegsetzen. Doch was ist das? Windows 10 sammelt unkontrolliert Daten. Im Zeitalter der schnellen Empörung beschweren sich Foren wie IT-Magazine in seltenem Einklang über die Arroganz der Redmonder.
Doch bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass die Entwickler dem Betriebssystem nicht aus purer Datensammelwut die Lauscher verpasst haben.
Die Vorstellung, dass sich Manager ob der datentechnischen Entblößung der Kunden zuprosten, mag dem Bild eines Großkonzerns als Bösewicht per se entsprechen. Aber der Blick über den Großen Teich offenbart anderes. Denn in den USA entwickeln sich Chromebooks zu einer ernst zu nehmenden Konkurrenz – ein Drittel aller Laptops im ersten Halbjahr 2015 kann Google auf dem B2B-Ladentisch für sich verbuchen. Ganz freiwillig vertrauen die Kunden ihre Daten Googles Cloud an. Und sind nicht einmal durch alte Verträge und Legacy-Software getrieben.
Vielmehr erfüllen Chromebooks einen häufigen Wunsch von Unternehmen. Die befreien sie vom Ballast der IT-Administration. Anwendungen kaufen sie aus der Cloud und die Rechner kooperieren sicher dank der von Google geschlossenen und kontrollierten Umgebung mit ihren vorgesehenen Funktionen. Viele vormals interne Aufgaben wandeln sich so zum zugekauften Dienst und die Firma konzentriert sich nicht mehr auf den Aufbau eines umfangreichen Rechenzentrums samt eigener Infrastruktur, sondern auf ihr eigentliches Geschäft.
Windows 8 tastete sich schon in diese Richtung vor, mit einem Konto in Redmond ließ sich einiges vereinfachen. Ausgabe 10 geht konsequent diesen Weg weiter und baut das Betriebssystem zu einer Plattform für alle Belange der alltäglichen IT aus. Wer sich darauf einlässt, dem nimmt der Konzern viele Sorgen ab. Privatnutzer mögen ihre zwei Rechner noch im Griff haben, doch in Unternehmen ist Arbeitsersparnis durch Cloud-Organisation ein wichtiger Kostenfaktor.
Niemand muss diese Entwicklung mögen. Doch genauso zwingt keiner den Kunden, Windows 10 einzusetzen. Apple mag hiesigen altgedienten Wintel-Anhängern suspekt sein, bietet aber einen klassischeren Desktop als Microsoft momentan. Und freie Betriebssysteme wie Linux erlauben jeden Grad an gewünschter Privatsphäre. Wer aber ein synchronisiertes Windows ohne fragmentierte Umgebung will, kann nicht Microsoft die dazu nötigen Daten vorenthalten. (Moritz Förster) Kontra Seine Daten speichert man nicht bedenkenlos in einer Cloud. Das Risiko des Kontrollverlusts mag angesichts des Nutzens und der Kostenersparnis mitunter vertretbar erscheinen. Dennoch zahlt der Kunde einen hohen Preis für sein Vertrauen in den Anbieter. Denn die Cloud ist längst ein verbreitetes Geschäftsmodell mit riesigem Marktpotenzial geworden, bei dem Unternehmen jeder Größe, Expertise und Vertrauenswürdigkeit Geld verdienen wollen. Sicherheit sowie Datenschutz werden leider erst durch gesetzliche Vorgaben Teil des Geschäftsinteresses.
Folgerichtig schwindet die Kontrolle über die eigenen Daten zusehends. Die Idee der Cloud-Anbindung findet sich mittlerweile in nahezu jeder größeren Software, die etwas auf sich hält, längst auch in Betriebssystemen (und, ja: auch in Linux – Ubuntu hat das vorgeführt). Man bekommt die Cloud, ob man will oder nicht. Dabei mischt jetzt auch Windows 10 mit. Das Abstellen der unzähligen Dienste, die Daten sammeln, gerät zum Gedulds- und Glücksspiel. Microsoft setzt unübersehbar auf das Einheimsen der Nutzerdaten, gelten sie doch als das wertvollste Gut des digitalen Zeitalters.
Google etwa erklärt das Datensammeln offen zu seiner Geldquelle, und wer sich daran stört, lässt die Finger von den Angeboten des Konzerns. Das gelingt bei Microsoft nicht so leicht. Kaum ein Unternehmen kann sich rasch von Windows trennen, selbst wenn es ernsthaft wollte. Mit der neuen Version 10 holt man sich nicht nur eine Software-Plattform ins Haus, sondern eine Cloud-Instanz mit Datensammelfunktionen und fragwürdigem Zusatznutzen.
Niemand sollte ungewollt und ungefragt seine Daten in einer Cloud wiederfinden. Den Vertrauensvorschuss der Kunden müssen Anbieter ernst nehmen und sollten ihn nicht ihrem – selbstverständlich legitimen – Geschäftsmodell opfern. Dabei versteht sich Transparenz von selbst. Wer Bedingungen nicht vollständig offenlegt, abgeschaltete Dienste weiterlaufen lässt oder Daten übermittelt, wo keine fließen dürften, sollte sich auf unwirsche Reaktionen der Kunden einstellen. Zusätzlich müssen zeitgemäße technische Standards umgesetzt werden, denn wer beim Verschlüsseln nicht alle Schlupflöcher schließt, lässt womöglich nachlässigerweise Abhörkanäle offen.
Zum Glück gibt es bei Betriebssystemen längst eine Auswahl. Wer Windows 10 nicht verteilen will, sperrt es in eine Hypervisor-Umgebung ein und stellt die unumgängliche Branchenlösung virtuell bereit, bis auch die in einer plattformunabhängigen Version erscheint. Und wer keine öffentliche Cloud mag, baut sich seine eigene.