Wer künftig pseudonyme oder anonyme Telemediendienste anbietet, gelte sofort als "gefahrgeneigter Dienst" und unterliege damit verschärften Haftungsregeln, moniert der Anwalt Dieter Frey, der ein Rechtsgutachten für den eco erstellt hat.
Der Referentenentwurf aus dem Bundeswirtschaftsministerium für ein WLAN-Gesetz ist nicht nur auf vielen Ebene unvereinbar mit europäischen Rechtsvorgaben, sondern wendet sich auch dagegen, Telemediendienste anonym oder pseudonym nutzen zu können. Zu diesem Ergebnis kommt der Medienrechtsexperte Dieter Frey zusammen mit zwei Kollegen in einem Gutachten für den Verband der deutschen Internetwirtschaft eco. Der Anwalt hat ein "rechtliches und systematisches Chaos" in Gesetzentwurf von Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) ausgemacht. "Kenntnisfiktion" und "schwammige Vermutungstatbestände"
Haftungsrechtlich im Telemediengesetz (TMG) nicht mehr privilegiert sein sollen demnach etwa Filehoster oder Cloud-Angebote, die "durch eigene Maßnahmen gezielt die Gefahr einer rechtsverletzenden Nutzung" fördern oder keine Möglichkeit bieten, illegale Inhalte "durch Berechtigte entfernen zu lassen". Diese würden künftig als "gefahrgeneigte Dienste" eingestuft, die Haftung für sie würde laut Frey durch eine "Kenntnisfiktion" und "schwammige Vermutungstatbestände", die zudem nur "in der Regel" erfüllt sein müssten, ganz klar verschärft.
Gerade mit der "Vermutungsregel" habe er "extreme Schwierigkeiten", führte Frey am heutigen Dienstag in Berlin aus. Diese sei "vollkommen inhaltsbefreit". Deutlich werde damit aber: "Wenn ich eine pseudonyme oder anonyme Nutzung vorschriftsmäßig erlaube, gelte ich sofort als 'gefahrgeneigter Dienst'". Indirekt solle so offenbar bewusst die Bestimmung im TMG ausgehebelt werden, wonach Anbieter wo immer möglich datenschutzsparsame Dienste zur Verfügung stellen müssten. Verstoß gegen Haftungsprivilegien
Laut Frey verstößt Gabriels Entwurf zudem gegen die Haftungsprivilegien für Provider aus der E-Commerce-Richtlinie. Schon der Bundesgerichtshof sei mit seinem Urteil zur Störerhaftung sehr weit über diese Vorgaben hinausgegangen und habe damit Rechtsunsicherheit geschaffen. Nun wolle das Wirtschaftsministerium dieses verzwickte System "in EU-Recht einbetten", was "überhaupt nicht geht".
Der Gesetzentwurf könne "für sehr lange Streitigkeiten zwischen Hostprovidern und Rechteinhabern" sorgen, warnte der Gutachter. Besser wäre es, jede einzelne Rechtsverletzung von Anbietern wie etwa Kino.to anzugreifen und diese "so eventuell in die Knie zu zwingen". Um entsprechend dem Koalitionsvertrag gegen "schwarze Schafe" vorzugehen, könnte Schwarz-Rot sonst auch Werbeverbote für solche Portale oder ein Notice-and-Takedown-Verfahren festlegen. Mit letzterem müssten diese inkriminierte Inhalte zunächst einmal herunternehmen. "Unfreie Bearbeitung" als Rechtsverstoß
Für Frey sendet der Entwurf in seiner jetzigen Form auch das Signal an Telemedienanbieter aus, "weniger innovativ" zu sein. Dienste, bei denen sich die Gefahr möglicher Rechtsverletzungen auch nur andeute, würde hierzulande wohl niemand mehr ausprobieren. In die kritisierte Rechtskategorie fielen wohl auch Portale wie "Fan Fiction", auf denen Nutzer einfach Werke wie "Harry Potter" weiter schrieben. Auch eine solche "unfreie Bearbeitung" stelle hierzulande einen Urheberrechtsverstoß dar.
Für Oliver Süme, eco-Vorstand Politik und Recht, steht damit außer Frage, dass sich der Entwurf als "politisch nicht opportun und europarechtswidrig" darstelle. Statt den Providern würden Rechteinhaber "privilegiert", was so in der Richtlinie überhaupt nicht angelegt sei. Süme ist sich sicher: "So sollen vor allem Partikularinteresse der Musikindustrie bedient werden zulasten der Internetbranche." Am Ziel vorbei geschossen
Dazu komme, dass der Gesetzentwurf gar nicht "die illegalen Streaming- und Download-Portale trifft, da diese ihren Sitz alle nicht in Deutschland haben", führte Süme aus. Selbst wenn ein Rechteinhaber vor einem hiesigen Gericht einen Titel gegen diese erwirke, sei ein solcher gegen "Scheinfirmen" etwa in Russland wohl kaum durchsetzbar. Betroffen wären dagegen hierzulande bis zu 30.000 Internetunternehmen, die in die Nähe "gefahrgeneigter Dienste" gerückt werden könnten. Deswegen hätten die Verbandsmitglieder "erhebliche Bauchschmerzen" gegen das geplante Gesetz, das "viel kaputt macht in einem Wachstumsmarkt".
Die Providervertreter hoffen daher, dass die EU-Kommission und andere Mitgliedsländer in dem bis zum Mittwoch laufenden "Notifizierungsverfahren" Bedenken vorbringen und den Entwurf zunächst zeitweilig stoppen. Es gebe aber auch Signale dafür, dass der Gesetzentwurf schon morgen vom Bundeskabinett auf den Weg in den Bundestag gebracht werde.