Gegner und Befürworter der Vorratsdatenspeicherung lieferten sich einen Schlagabtausch in einer Sachverständigenrunde im Parlament. Das Gesetzgebungsverfahren geht im Oktober weiter.
Der Berliner Rechtsanwalt Meinhard Starostik, der bereits rund 35.000 Bürger bei einer Verfassungsbeschwerde gegen das vormalige, 2007 in Kraft getretene und drei Jahre später vom Bundesverfassungsgericht aufgehobene Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vertrat, hält auch die neuen Regierungspläne für unzulässig. Sie könnten "das Fass zum Überlaufen bringen", warnte der Experte am Montag in einer Anhörung zu dem Gesetzentwurf im Bundestag. Mehr Überwachung
Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) hätten 2010 beziehungsweise voriges Jahr dem anlasslosen Protokollieren von Nutzerspuren generell eine große Eingriffstiefe attestiert und Gefahren von Missbrauch sowie Verwechslungen aufgezeigt, führte Starostik aus. Seitdem habe die Überwachung zugenommen.
So würden allein sieben Millionen automatisierte Bestandsdaten- und Millionen Kontenabfragen pro Jahr durchgeführt, erklärte der Anwalt. Im privaten Bereich gebe es noch viele erhebliche Datensammlungen, auf die der Staat prinzipiell auch zugreifen könne. Risiken der Profilbildung seien damit enorm gewachsen. Zudem sei mittlerweile deutlich geworden, "dass Metadaten aussagekräftiger sind als Inhaltsdaten". Kaum Auswirkungen auf Verbrechensbekämpfung
Die Luft für das Vorhaben sei so "sehr dünn", konstatierte Starostik. Es entspreche laut EuGH auch nicht der europäischen Grundrechtecharta, wenn alle Verbindungs- und Standortdaten erfasst und insbesondere Berufsgeheimnisträger Ärzte, Journalisten oder Strafverteidiger nicht ausgenommen würden. Eine vage "ermittlungstechnische Notwendigkeit" könne den Eingriff alleine nicht rechtfertigen. Es gebe auch einen Anspruch der Bürger auf Sicherheit vor ungerechtfertigen Eingriffen des Staates.
Der Gesetzgeber müsste darlegen, inwieweit es überhaupt einer Vorratsdatenspeicherung für alle 80 Millionen Bundesbürger bedürfe, hieb Heide Sandkuhl vom Deutschen Anwaltverein (DAV) in die gleiche Kerbe. Laut einer Studie wirke sich sich sich auf Verbrechensbekämpfung praktisch nicht aus. Berufsgeheimnisträger müssten laut Europäischem Gerichtshof ausgenommen werden, was der Entwurf nicht leiste. Der Gesetzentwurf enthalte zudem – anders als das Bundesjustizministerium meine – Auskunftsrechte für Geheimdienste. Staatliche Stellen dürften selbst "Früchte illegaler Datensammlung" verwerten. Illegale Daten legitimiert
Der vorgesehene Straftatbestand der Datenhehlerei sei nicht nur "unerfreulich" und schwammig, erläuterte die Juristin. Er sei auch besonders erstaunlich, da illegal erlangte Daten legitimiert werden sollten. Sandkuhl wertete dies als "fatales Signal", solange der Staat parallel die "NSA-Folgen" nicht in den Griff bekomme. Die Daten von Berufsgeheimnisträgern dürften zudem gar nicht gesammelt werden. Um dies sicherzustellen, könnte etwa auf Anwaltsverzeichnisse zurückgegriffen werden.
Die zwei Gegner des Entwurfs hatten es schwer gegenüber vier Praktikern aus der Strafverfolgung, die Vertreter der großen Koalition benannt hatten. Diesen zufolge weist der Gesetzentwurf zwar in die richtige Richtung, greift aber an vielen Stellen noch zu kurz. So seien die Speicherfristen nicht lang genug, die Zugriffshürden zu hoch, ein Zugang bei Standortdaten im Nachhinein ausgeschlossen. Auch würden zuwenig Datenkategorien eingeschlossen. Misstrauen in die Staatsanwaltschaft
"Ohne Vorratsdaten ist eine effektive Bekämpfung von Cybercrime nicht möglich", betonte Oberstaatsanwalt Rainer Franosch im Namen des Hessischen Justizministeriums. Er forderte, auch Anbieter von Telemediendiensten wie Betreiber sozialer Netzwerke einzubeziehen. Christoph Frank vom Deutschen Richterbund beklagte, dass Mailverkehr und Webseitenabrufe ausgenommen werden sollen. Der geplante "strenge Richtervorbehalt", der vor einem Zugang zu den Vorratsdaten stehe, drücke für den Vorsitzenden Oberstaatsanwalt in Freiburg ein "latentes, diffuses Misstrauen in die Arbeit der Staatsanwaltschaft" aus.
Die Strafverfolger versuchten mit Zahlen zu belegen, wie erforderlich die Datenspeicherung sei. Frank Thiede, Leiter der Beratungsstelle für polizeipraktische Rechtsfragen beim Bundeskriminalamt (BKA), verwies auf 91 ausgewählte Fälle, die bereichsübergreifend den Bedarf belegten. Darunter sei einer von Geheimnisverrat, für den vergeblich nach einem Leck bei einer Ermittlung im Bankenbereich gefahndet worden sei. Generell verlangten "alle Polizeien von Bund und Ländern" ganz elementar nach der Vorratsdatenspeicherung, was keineswegs "hemdsärmlig" sei. Be- oder entlastende Verkehrsdaten
20 Fälle aus der Praxis brachte Nikolaus Berger, Richter am Bundesgerichtshof, mit. Dabei seien die begehrten "Verkehrsdaten" häufig die einzigen Ermittlungsansätze und später häufig Indizien für die Be- oder Entlastung von Betroffenen. Zu nennen seien hier vor allem Tötungs- und Raubdelikte sowie andere schwere Kriminalitätserscheinungen. Dass die "nützlichen" Informationen noch vorhanden gewesen seien, bezeichnete Berger als "glückliche Zufälle".
Christoph Frank räumte auf Nachfragen von Abgeordneten ein, dass die Ermittler aussagekräftige Statistiken nicht liefern könnten. Dies liege daran, dass es immer um die Frage gehe, "was gewesen wäre wenn". Die Ermittler hätten schon eine "Schere im Kopf", was der organisierten Kriminalität zuarbeite. Alle Ebenen prüften Zugriffe auf vorhandene Verkehrsdaten" höchst sorgfältig", weil man wisse, wie sensibel das Instrument sei. Viele Strafverfolger leiteten solche Verfahren erst gar nicht ein, befand auch Franosch.