Stahlwerke zählen zu den größten Feinstaubschleudern Europas. Kein Wunder: Die Branche darf sich ihre Regeln selbst machen.
Eigentlich sollte die neue Industrie-Emissionsrichtlinie der EU Stahlwerke sauberer machen und die Gesundheit der Bürger schützen. Tatsächlich aber ist sie ein Regelwerk, das sich die Branche mehr oder weniger selbst gegeben hat. Das berichtet das Magazin Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe (Technology Review 11/2015). "Beste verfügbare Technik"
Die neue Direktive soll 2016 in Kraft treten. Sie verpflichtet die Stahlindustrie dazu, die "beste verfügbare Technik" ("Best Available Technology", BAT) zu nutzen, um ihren Feinstaubausstoß zu senken. Feinstaub ist eine der gefährlichsten Industrie-Emissionen überhaupt. Und zweitgrößter Feinstaub-Emittent Europas ist die Stahlindustrie.
Was genau die "beste verfügbare Technik" ist, das bewerten sogenannte "technische Arbeitsgruppen". Doch diese bestehen größtenteils aus Repräsentanten der betroffenen Unternehmen – und von Regierungen, die diese im Namen nationaler Interessen unterstützen. Und unabhängige wissenschaftliche Berater sind nirgendwo zu sehen.
Das Ergebnis: Als "beste Technologien" tauchen alte Verfahren auf, welche die meisten europäischen Stahlwerke ohnehin längst eingebaut haben. Moderne Schlauchfilter würden die Emissionen der Sinteranlagen beispielsweise auf weniger als 15 Milligramm pro Kubikmeter Luft senken. Doch die Lobbyisten brachten auch veraltete Elektrofilter auf die BAT-Liste. Sie sind mit 40 Milligramm Feinstaub pro Kubikmeter fast dreimal weniger wirksam. Kosten als Gegenargument erlaubt
Eine Sonderregelung befreit Stahlwerke von der Nutzung effizienterer Technologien, wenn deren Kosten in keinem Verhältnis zum Umweltnutzen stünden. "Diese Formulierung ist so vage, dass sie Stahlwerke praktisch uneingeschränkt vor Investitionen in Schlauchfilter bewahrt", sagt Sebastian Plickert. Der Ingenieur arbeitet am Umweltbundesamt und war Mitglied des Komitees.
Deshalb gelangen laut Plickert künftig jährlich etwa 3800 Tonnen Feinstaubpartikel in die Atmosphäre, die sich hätten vermeiden lassen. Das macht zwar weniger als ein Prozent des gesamten Feinstaubausstoßes in Europa aus. Trotzdem verursachen sie dem europäischen Gesundheitssystem Zusatzkosten in Höhe von rund 524 Millionen Euro in sechs Jahren. Das ist weit mehr als die 460 Millionen Euro, die Stahlwerke für die Nachrüstung von Schlauchfiltern investieren müssten.