Neue Hardwareblöcke, allerhand nützliche Funktionen und ein moderner Herstellungsprozess: Uns hat Qualcomms Snapdragon 820 beim Ausprobieren gut gefallen - wir sind gespannt auf erste Smartphones. Von denen hängt es ab, ob der Chip ein Erfolg wird.
Qualcomm verspricht sich viel vom neuen Snapdragon 820 und verspricht viel: Das System-on-a-Chip befindet sich seit Monaten in der Entwicklung, einige Bestandteile gar seit Jahren. Die Ansprüche an den High-End-Prozessor sind hoch, denn der Hersteller muss verlorene Marktanteile zurückgewinnen und möchte den schlechten Ruf des Snapdragon 810 vergessen machen. Um zu demonstrieren, was der neue Chip an Technologien und Funktionen auffährt, hat Qualcomm einen Überblick zum Snapdragon 820 gegeben. Hierzu hat der Hersteller uns nach New York City eingeladen, um einen Tag lang mit mehreren Keynote-Ansprachen, Gesprächsrunden und einem großen Raum voller Demos über den Chip zu sprechen. Wer auf ausführliche Benchmarks, Architekturdetails oder Throttling-Tests hofft, der muss sich noch ein paar Wochen gedulden. Die versammelte Qualcomm-Führungsriege betonte, dass der Snapdragon 820 keinerlei Hitzeprobleme habe.
Eine Präsentationsfolie soll dies untermauern: Herstellermessungen zufolge benötigt der neue Chip im Alltag rund ein Drittel weniger Energie als der Snapdragon 810. Das ist abseits von technischen Verbesserungen wie einem dedizierten Power Manager für bessere Schlafzustände aller IP-Blöcke vor allem dem 14LPP-Verfahren (Low Power Plus) zu verdanken. Der Fertigungsprozess wurde von Samsung entwickelt und von Globalfoundries lizenziert, neben AMD (Zen-basierte CPUs) und Apple (A9-Chip im iPhone 6S) nutzt ihn auch Samsung selbst für eigene Chips wie den Exynos 8890 alias Exynos 8 Octa. Zu den technischen Verbesserungen zählt die neuen CPU-Architektur namens Kryo. Die von Qualcomm selbst entwickelte 64-Bit-Technik fasst vier Kerne zusammen, von denen je zwei als Cluster mit unterschiedlichen Maximalfrequenzen arbeiten. Jedes Rechenwerk kann unabhängig von den anderen takten. Letzteres ist eine Besonderheit, da die ARMs Cluster aus Cortex-Kernen nicht beherrschen, weswegen die meisten Implementierungen zwei oder drei Blöcke nutzen, also sparsame mit schnellen Clustern kombinieren. Qualcomm spricht bei den Kryo-Kernen von bis zu doppelter Leistung - unter Dauerlast, wo der Snapdragon 810 stark drosselt - und bis zu doppelter Effizienz.
Weiter ging es mit der Grafikeinheit, der Adreno 530. Die soll verglichen mit ihrem Vorgänger ebenfalls deutlich flotter und effizienter werden. Um die Leistung der GPU zu demonstrieren, drückte uns Qualcomm ein Tablet mit Ultra-HD-Panel in die Hand. Darauf lief eine Demo auf Basis der Unreal Engine 4 in 720p-Auflösung mit einer Bildrate von 30 fps. Dank Temporal-Kantenglättung, eines Deferred-Renderers mit mehreren Lichtquellen und schicker zuschaltbarer Effekte wie Screenspace Reflections ist die Grafik der Demo fast auf dem Niveau der aktuellen Spielekonsolen Playstation 4 und Xbox One.
Konsolengrafik trifft DSLR-Fotoqualität
Die Adreno 530 unterstützt die Vulkan- und die OpenGL-ES-3.1-Grafikschnittstelle samt dem Android Extension Pack und das Compute-API OpenCL 2.0 inklusive eines gemeinsamen virtuellen Speichers für die GPU und die CPU-Kerne sowie eine verlustfreie Farbkompression zugunsten von mehr Bandbreite zum LPDDR4-Speicher. Beim Thema Ultra-HD darf zudem der Hinweis nicht fehlen, dass eine verbesserte Version von Eco Pix die Akkulaufzeit bei solch hochauflösenden Displays senken soll, indem basierend auf dem Umgebungslicht adaptiv Kontraste und Gamma angepasst werden.
Für Videos wichtig sind der neue Spectra-ISP und der Hexagon-DSP. Damit können Clips in UHD-Auflösung mit 30 fps aufgenommen und H.265-codiertes Material in 4K mit 60 Hz wiedergegeben werden, bis zu drei voneinander unabhängige Kameras werden unterstützt. Aufwendige Algorithmen verbessern zudem die Bildqualität, wenngleich einige der Techniken Geschmackssache sind. Qualcomm ließ zu Demozwecken einen Jongleur vor der Kamera eines Snapdragon-820-Tablets im Halbdunkel auftreten. Wir empfinden die Algorithmen als etwas übertrieben, sie können den kleinen Sensor und den geringen Lichteinfall nur bedingt kompensieren. Per Software wird das Bild an unterbelichteten Stellen selektiv aufgehellt und das dadurch auftretende starke Rauschen auf Kosten der Schärfe weichgezeichnet. Das holt Konturen wie die einer Parkbank ins Bild, vernichtet aber feine Details wie Holzmaserung. Zudem kann der Spectre-ISP mehrere sich bewegende Objekte scharf stellen und ihren Bewegungen folgen. Das klappt besonders gut mit Personen und wird durch einen sehr schnellen Hybrid-Autofokus (Kontrast oder Phase) und Auslösefunktion ergänzt. Qualcomm spricht vollmundig von einer DSLR-ähnlichen Bildqualität.
Bei Fotos werden die gleichen Algorithmen angewendet, es bleibt allerdings den Erstausrüstern (OEMs) überlassen, welche Software sie wie auf ihren Smartphones mit dem Snapdragon 820 implementieren möchten. Eine Funktion, die wir uns wünschen, heißt Zeroth und basiert auf Machine Learning: Die mitgelieferte Software kennt von Beginn an Kategorien wie Burger, Flugzeug, Himmel oder Strand und sortiert Fotos in diese ein. Wir können neue Attribute hinzufügen und Zeroth trainieren, um Fotos automatisch zu kategorisieren und schnell zu finden. All das findet lokal auf dem Gerät in Ruhephasen des Prozessors statt, es ist keine Internetverbindung notwendig. Wer dennoch Bilder teilen oder schlicht im Internet surfen möchte, der dürfte sich für das integrierte und 15 Prozent sparsamere Modem und den WLAN-Block interessieren. Der Snapdragon 820 unterstützt bis zu vier Antennen, ein Verstärker soll Impedanzen ausgleichen, wenn Finger die Mini-Funkmasten verdecken. Obendrein steigen so die Datenrate und die Akkulaufzeit. Das Qualcomm-SoC beherrscht wie gehabt Multi-User MIMO für den 802.11ac-Wave-2-Standard, womit Endgeräte bei passendem Router schneller mit Daten beliefert werden. Ohne bringt MU-MIMO nur wenig.
Drahtlose 4K-Videos und Ladetechnik
Das neue X12-Modem schafft im Downstream bis zu 600 MBit pro Sekunde und im Upstream bis zu 150 MBit pro Sekunde. Möglich machen das drei 20-MHz-Carrier mit einer Modulation von 256QAM statt 64QAM. Obendrein ist das umstrittene LTE-Unlicensed im 5-GHz-Frequenzband verfügbar, hier funkt sonst ac-WLAN. Qualcomm sagte, das europäische Pendant LAA (License Assisted Access) werde im ersten Halbjahr 2016 verfügbar sein. In den Niederlanden laufen Tests, in den USA möchte Verizon LTE-U bald anbieten.
Wenn ein OEM das möchte, kann ein zusätzlicher Chip für Wireless Display (802.11-ad-Standard) verbaut werden. Das funkt über kurze Strecken im 60-GHz-Frequenzband und überträgt in diesem Bild wie Ton, etwa einen 4K-Film. Ebenfalls zusätzliche Hardware ist für den optionalen Fingerabdrucksensor nötig: Qualcomms Technik arbeitet mit Ultraschall, also auch mit einer nassen Hand oder durch hauchdünnes Metall hindurch. OEMs haben somit mehr Optionen bei der Materialwahl für den Smartphone-Barebone. Ein wichtiges Anliegen war Qualcomm überdies noch das Thema Laden: Mit Quick Charge 3.0 soll ein 2.750-mAh-Akku in 35 Minuten auf bis zu 80 Prozent Kapazität befüllt werden. Hierzu legt ein Algorithmus zwischen 3,6 und 20 Volt an. Das klappt per Micro-USB genauso wie mit dem neuen Type-C-Anschluss, den wir bei den meisten neuen Geräten mit dem Snapdragon 820 erwarten. Vereinzelt dürfte per Zusatzchip auch drahtloses Laden nach dem A4WP-Standard unterstützt werden, der Hersteller nennt das Wipower. Im Frühjahr 2016 gibts die ersten Ankündigungen
Zum Thema Design Wins und dem Stichwort Samsung Galaxy S7 wollte sich Qualcomm bei der Diskussionsrunde wenig überraschend nicht äußern. Der Hersteller machte aber klar, dass über 60 Design Wins für den Snapdragon 820 nicht bedeute, dass Geräte für unterschiedliche Märkte aufaddiert würden. Die Partner haben längst erste Chips und arbeiten an ihren Geräten, nur wenige dürften aber auch alle hier besprochenen Funktionen implementiert haben. Wir sind daher sehr gespannt, welche Smartphones mit dem Snapdragon 820 auf der Unterhaltungselektronikmesse CES im Januar 2016 und der Mobilfunkmesse MWC im Februar angekündigt werden.
Besonders schnelle Hersteller - etwa HTC mit dem One X9 - preschen vielleicht sogar noch im Dezember 2015 vor, dann können wir bald ausprobieren, ob der Snapdragon 820 am Ende das hält, was Qualcomm verspricht.