Die Automatisierung soll eine wichtige Rolle beim weiteren Aufstieg der Volksrepublik spielen. Deutsche Produzenten wittern die große Chance. Aber gerade chinesische Anbieter wollen sich einen möglichst großen Anteil vom Wachstumsmarkt sichern.
Nackte Mauern, ein blank polierter Boden und eine große Maschine: Die Arbeiterin in der Fabrikhalle hat sich ihren Mundschutz zurechtgerückt. Stumm beobachtet sie, wie die weißen Reiskörner aus einem Rohr in einen weißen Plastiksack gepresst werden. In Sekundenschnelle näht die Maschine das Paket zu. Eine Rollbahn lässt den prall gefüllten Sack durch die Halle gleiten, bis er von einem Roboterarm aufgehoben und auf eine Palette geschichtet wird. Chinas Entwicklung kommt an ihre Grenzen
China, die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, entwickelt sich von der Werkbank der Welt zu einem der wichtigsten Wachstumsmärkte für Automatisierungstechnik. "Das klassische Industrialisierungsmodell, das dem chinesischen Entwicklungsprozess der vergangenen 25 Jahre zugrunde lag, ist an seinen Grenzen angekommen", sagt Georg Stieler, der mit seiner Unternehmensberatung Stieler Enterprise Management Consulting die Entwicklung in der Volksrepublik analysiert hat.
Automatisierung ist eines der wichtigsten Schlagworte in der Reformagenda Made in China 2025. Der Pekinger Staatsrat hat darin einen Fahrplan für die Modernisierung der chinesischen Industrie entworfen. China will etablierte Nationen wie Deutschland in Qualität, Effizienz und Nachhaltigkeit einholen. In drei Phasen möchte die Volksrepublik bis zu ihrem 100. Geburtstag 2049 zur Industrie-Supermacht aufsteigen. Deutschlands Industrie 4.0 war Vorbild für einige Reformvorhaben, sagt ein hochrangiger Regierungsbeamter, der nicht öffentlich genannt werden möchte. Wer alles große Chancen wittert
Nun wittern deutsche Produzenten von Automatisierungstechnik große Chancen. "Überall, wo Präzision, Zuverlässigkeit und Geschwindigkeit ausschlaggebende Kriterien sind, verfügen deutsche und europäische Hersteller über Wettbewerbsvorteile", sagt Stieler. "Wir erwarten, dass sich der Absatz von Robotern in China in den nächsten fünf Jahren noch einmal mehr als verdoppeln wird", prognostiziert der Berater. Gerade bei hochpräzisen, schnellen Roboterbewegungen seien internationale Hersteller führend. Zudem werde die Nachfrage nach Sensoren stark zunehmen. "Von etwa 20.000 weltweit bekannten Sensortypen können in China nur etwa 3.000 hergestellt werden", rechnet Stieler vor.
Beim Roboterbauer Kuka, der schon lange in China aktiv ist, glaubt man an das große, langfristige Potenzial des Automatisierungsmarktes. Allein in der Elektronikbranche arbeiteten acht Millionen Menschen, ein Viertel davon beschäftige sich mit sich wiederholenden Aufgaben. Allein die asiatische Elektronikindustrie biete damit ein Potenzial von 500.000 bis 800.000 Robotern. Chinas Wachstum wird schwächer
Dennoch sind auch die Augsburger vorsichtig. "Wir rechnen in China nicht mit den Wachstumsraten der vergangenen Jahre", sagte Kuka-Chef Till Reuter. "Aber die Automatisierung hat dort Potenzial, denn die Regierung hat Robotik im Wirtschaftsplan 2025 als wichtige Schlüsselbranche gesetzt." Das schaffe Chancen für Kuka.
Es sei faszinierend, wie schnell China in der Entwicklung sei, sagte Reuter. Derzeit entstünden dort viele Robotik-Firmen. "Das beobachten wir bei Kuka genau." Kuka habe mit 40 Jahren Erfahrung ein tiefes Fachwissen, das für die Kunden wertvoll sei. "Aber natürlich dürfen wir uns auf diesem Vorsprung nicht ausruhen." China ist wichtigster Robotermarkt
China hat die Industrieroboter-Branche enorm angetrieben. 2014 war China zum zweiten Mal in Folge der wichtigste Markt. Der Absatz legte nochmals um 56 Prozent auf 57.000 verkaufte Roboter zu. In den vergangenen fünf Jahren lag das durchschnittliche Wachstum laut dem Weltbranchenverband International Federation of Robotics (IFR) bei 59 Prozent.
Der Verband sieht in China weiterhin immensen Nachholbedarf. "Das Potenzial bleibt trotz der jüngsten Konjunkturschwäche enorm." Die chinesische Wirtschaft verzeichne derzeit nur eine Roboterdichte von 36 Stück pro 10.000 Beschäftigte. In Südkorea liegt dieser Wert bei 478, in Deutschland bei 292. Prognosen des Verbands gehen daher davon aus, dass 2018 mehr als jeder dritte neue Roboter in China installiert wird.
Was für die einen Risiko ist, ist für die anderen Chance
Die Bedeutung der lokalen Hersteller wächst dabei. 2015 rechnet der Verband beim Absatz in China mit einem Plus von gut 25 Prozent - die chinesischen Hersteller dürften aber um 40 Prozent zulegen. Die Nachfrage aus China belebt die gesamte Branche. Laut Prognose des IFR wird sich der Absatz bis 2018 mit Wachstumsraten von durchschnittlich 15 Prozent fast auf 400.000 verkaufte Roboter verdoppeln.
Stark in China vertreten mit Automatisierungstechnik ist gleichfalls Siemens, der weltweit führende Konzern in der Industrieautomatisierung. Auch die Münchner haben die Abkühlung in China zu spüren bekommen. Der Auftragseingang in China war in den ersten neun Monaten des zu Ende gegangenen Geschäftsjahres im Konzern insgesamt währungsbereinigt um 17 Prozent auf 4,8 Milliarden Euro gesunken. China entwickelt eigene Technik
Für die Münchner ist Made in China 2025 eine besondere Herausforderung. So wollen die Chinesen zum Beispiel einen Schnellzug auf die Strecke bringen, der komplett aus lokal gefertigten Teilen besteht. Siemens reagiert auf die neue Situation mit einer Erhöhung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung in China. Es sollen verstärkt vor Ort Produkte für den chinesischen Markt entwickelt werden.
Aber gerade chinesische Anbieter wollen sich einen möglichst großen Anteil vom Wachstumsmarkt sichern. "Die nationalen Roboterunternehmen haben sich allmählich auf dem Markt etabliert", sagte der Vizechef der chinesischen Vereinigung der Roboterindustrie, Song Xiaogang, auf der Messe World Robotics 2015. "2015 wird ein Zuwachs von insgesamt 25 Prozent erwartet. Die Wachstumsrate der nationalen Hersteller wird über 40 Prozent sein", prognostizierte Song. Manche Maschinen sind teurer als Menschen
Doch die Hochrechnungen über gigantische Wachstumsraten sind in einigen Branchen übertrieben. Hannes Streeck, CEO der Logistikfirma Fiege Far East Holding, rechnet vor, dass sich derzeit eine voll automatisierte Lagerhalle noch nicht rechnen würde. "In vier Jahren würde es Sinn machen, darüber nachzudenken", habe eine Analyse ergeben. Noch seien in einigen Bereichen aufwendige Maschinen zu teuer im Vergleich zu menschlichen Arbeitskräften. Die Wertschöpfungskette ist in vielen Branchen noch lange nicht für eine volle Automatisierung bereit, resümiert auch Jeremy R. Haft in seinem Buch Unmade in China.
Für seine Recherchen untersuchte er Hersteller in vielen unterschiedlichen Branchen. Sein Fazit: Die Szenarien vom rasanten Aufstieg einer hochwertigen Industrie in China sind meist überzogen. Es könnte noch sehr lange dauern, bis China zu entwickelten Industrieländern aufholt.
Was für die einen ein Risiko ist, das empfinden andere als Chance. Der ehemalige Manager bei der Deutschen Bank, Henry Cai, hat es sich in der Lounge eines Pekinger Nobelhotels gemütlich gemacht. Seine Assistentin serviert Wassermelonen-Saft. "Natürlich können wir in China noch nicht von Industrie 4.0 reden. Wir sind eher bei Industrie 2.0 oder 3.0. Wenige Branchen stehen vor dem Übergang zu 4.0", sagt er. Aber gerade deshalb sei das Geschäft in China so interessant.