In Karlsruhe stapeln sich langsam die Klagen zu den NSA-Selektoren. Nach der Opposition will nun auch die G-10-Kommission die Einsicht in die Liste gerichtlich durchsetzen.
Die sogenannte G-10-Kommission des Bundestages will offenbar die Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verklagen. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, wollen die Geheimdienstkontrolleure auf diesem Weg einen Einblick in die Liste von unzulässigen Suchbegriffen des US-Geheimdienstes NSA erstreiten. Bislang verweigert die Regierung sowohl der G-10-Kommission als auch dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) und dem NSA-Untersuchungsausschuss einen Einblick in die Liste.
Die Opposition von Grünen und Linke hatte bereits Mitte September 2015 eine entsprechende Klage in Karlsruhe eingereicht. Die Regierung erlaubte hingegen nur dem Sonderbeauftragten Kurt Graulich, sich die rund 40.000 Suchbegriffe anzuschauen. Seine Ergebnisse hatte er Anfang November vor dem NSA-Ausschuss präsentiert. Verhältnis schwer belastet
Dass nur die G-10-Kommission dem Beispiel der Opposition folgt, gilt als ungewöhnlich. Die Kommission entscheidet laut Bundestag über die Notwendigkeit und Zulässigkeit sämtlicher durch die Nachrichtendienste des Bundes (BND, Verfassungsschutz, MAD) eingeleiteten Überwachungsaktionen, von denen Bundesbürger betroffen sind. Laut Süddeutscher Zeitung hatte die Kommission zunächst klären lassen, ob sie überhaupt klageberechtigt ist. Einen solchen Fall habe es in ihrer langen Geschichte noch nicht gegeben.
Durch die Enthüllungen im Zusammenhang mit der Operation Eikonal wurde das Verhältnis zwischen Regierung, Geheimdiensten und Kommission schwer belastet. Der langjährige Vorsitzende des Gremiums, der frühere SPD-Politiker und Justizstaatssekretär Hans de With, zeigte sich in seiner Vernehmung durch den NSA-Ausschuss sichtlich ungehalten über das Vorgehen von Bundesnachrichtendienst (BND) und Kanzleramt bei der Operation. De With sagte Sätze wie: "Eine vorgeschobene Genehmigung ist in höchstem Maße unredlich" und "Es wird gespielt mit einer Maßnahme, die eigentlich nicht gebraucht wird." Er würde sich "düpiert" fühlen, wenn dem so gewesen wäre, und hätte das damals nicht gebilligt. Telekom verlangte G-10-Genehmigung
Wie die Ermittlungen des NSA-Ausschusses ergaben, verlangte die Deutsche Telekom für den Zugriff des BND auf paketvermittelte Daten in Frankfurt eine Erlaubnis der G-10-Kommission, obwohl der BND gar nicht an Daten mit deutscher Beteiligung interessiert war. Im Gegenteil: Der Geheimdienst musste einen großen Aufwand betreiben, um die Daten deutscher Bürger herauszufiltern. Von diesem Vorgehen wollte de With zuvor nie etwas gehört haben. Die Operation Eikonal war 2005 zunächst mit dem Abhören von leitungsvermitteltem ausländischem Telefonverkehr gestartet und später auf IP-Verkehre umgestellt worden, die auch Daten deutscher Bürger enthielten. Die Operation war spätestens 2008 beendet worden, weil die Filterung der deutschen Daten nicht automatisiert möglich war.
Die nicht herausgefilterten Daten sollen nach Angaben von BND-Mitarbeitern auch an die gemeinsamen Auswertungsstelle von NSA und BND im bayerischen Bad Aibling gegangen sein. Die dortige Joint Sigint Activity (JSA) diente vor allem dazu, die in Bad Aibling abgehörte Satellitenkommunikation gemeinsam auszuwerten. Dazu wurden bis zu 14 Millionen Suchbegriffe der NSA eingesetzt, von denen 40.000 gegen deutsche und europäische Interessen verstoßen haben sollen.
Nicht nur der inzwischen 83 Jahre alte de With fühlt sich durch das Vorgehen von Regierung und BND getäuscht. "Die haben uns hinter die Fichte geführt, das Vertrauen ist erschüttert", sagt Frank Hofmann der Süddeutschen Zeitung. Hofmann arbeitete demnach früher beim Bundeskriminalamt, saß dann knapp zwei Jahrzehnte für die SPD als Abgeordneter im Bundestag und ist seit Jahren Mitglied der G-10-Kommission. "Weil wir offenkundig reingelegt wurden", habe ein Mitglied des Kontrollgremiums gesagt, sei jetzt ein eigener Blick in die Selektorenliste der NSA "zwingend notwendig".
Weil das Kanzleramt in der Angelegenheit nur dem Sonderbeauftragten Einblick in die Unterlagen erlaubt habe, müsse jetzt Karlsruhe helfen. Die Bundesregierung verweigert den Abgeordneten den Einblick in die Liste mit Verweis auf einen vertraulichen Notenwechsel zwischen der Bundesrepublik und den USA vom 23. Dezember 1960.