Design-Forscherin Katharina Bredies macht Kleidung intelligent. Sie erklärt, wie man ein Radio selbst strickt und elektronische Klamotten wäscht.
Katharina Bredies erforscht am Design Research Lab der Universität der Künste Berlin, wie Technik und Textilien in Zukunft verschmelzen könnten. Sie beschäftigt sich mit experimenteller textiler Elektronik und Wearables und versucht, traditionelle Produktionstechniken wie Stricken und Weben für ihre Prototypen nutzbar zu machen. Bredies forscht auch mit Materialtechnikern und Robotik-Experten an der schwedischen Borås School of Textiles.
Süddeutsche Zeitung: In unserem Alltag umgeben uns schon viele technische Geräte. Warum muss auch noch unsere Kleidung vernetzt sein?
Katharina Bredies: Technische Geräte sind eine Krücke. Wir wollen bestimmte Aufgaben damit erledigen. Aber wer sagt, dass es dafür ein extra Gehäuse geben muss? Das ist eine Frage der kulturellen Gewöhnung. Wir überlegen uns, wie wir die Gerätefunktionen in Bestehendes integrieren könnten.
Süddeutsche Zeitung: Wie kann das aussehen?
Katharina Bredies: Ich habe zum Beispiel eine Notfalljacke entworfen. Es gibt ja Notrufsysteme für ältere oder kranke Menschen, die dann einen riesigen Knopf um den Hals gehängt kriegen. Das ist sehr stigmatisierend. Wir haben eine Strickjacke und ein Jackett mit Sensoren und einem Schalter ausgestattet. Wenn man zum Beispiel die Tasche der Jacke hochklappt, wird per Bluetooth ein Signal an ein Handy versandt, das dann einen Notruf auslösen kann. Wer allein daheim stürzt und aus eigener Kraft nicht mehr aufstehen kann, kann so noch Hilfe rufen mit dem, was er sowieso direkt am Körper trägt.
Süddeutsche Zeitung: Für wen könnte vernetzte Kleidung noch nützlich sein?
Katharina Bredies: Für die Arbeiter auf einer Ölplattform gibt es heute schon smarte Kleidung mit Biosensorik. Die Sensoren registrieren Kälte und warnen, wenn Erfrierungen drohen. Menschen mit körperlichen Einschränkungen sind auch eine naheliegende Zielgruppe. Mein Kollege Tom Bieling, ebenfalls Designforscher, hat zum Beispiel den Mobile Lorm Glove entwickelt. Der Handschuh ist im Hinblick auf die spezielle Situation von Taubblinden entwickelt worden. Er ist voller Sensoren und Vibrationsmotoren, mit dem taubblinde Menschen über größere Entfernungen in Lorm-Sprache kommunizieren können und der zum Beispiel auch digitale Lorm-Nachrichten empfangen kann.
Süddeutsche Zeitung: Wie geht das denn?
Katharina Bredies: Taubblinde kommunizieren über Berührungen und haben dafür das Lorm-Alphabet entwickelt. Einzelne Handpartien und Finger sind bestimmten Buchstaben zugeordnet. Der Handschuh hat Drucksensoren und übersetzt die Berührungen auf der Hand in Text und andersrum. Wearables überbrücken so eine Kluft zwischen Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten.
Süddeutsche Zeitung: Ist vernetzte Kleidung also etwas für einen Personenkreis mit besonderen Bedürfnissen und nicht für die breite Masse?
Katharina Bredies: Nein, die Reaktionskette der Notfalljacke lässt sich zum Beispiel auf andere Anwendungsfälle übertragen, über den textilen Schalter muss ja nicht zwingend ein Notruf ausgelöst werden. Ich könnte damit auch meine Stereoanlage an- und ausschalten. Außerdem ist jeder von uns irgendwann in einer Situation, in der er besondere Bedürfnisse entwickelt. Und sei es nur, dass er alt wird.
Süddeutsche Zeitung: Wie gehen Sie vor, wenn Sie Kleidung intelligent machen wollen?
Katharina Bredies: Schon lange werden bestehende Funktionen von textilen Gegenständen durch Technik verstärkt. Die elektrische Heizdecke ist so ein Beispiel. Mittlerweile überlegen wir uns: Welche Funktionen könnte die Decke noch übernehmen? Dinge des Alltags können interaktiv werden. Mit ihnen steuern wir andere Geräte. Oder die Kleidungsstücke steuern sich selbst, etwa Funktionswäsche von Sportlern, die die Temperatur reguliert. Fügt man andere Kommunikationsgeräte zu dieser Gleichung hinzu, wird das sehr mächtig. Dann hat unsere Kleidung mit einem Mal Zugriff auf riesige Rechnerkapazitäten.
Süddeutsche Zeitung: Mit welchen Materialien arbeiten Sie?
Katharina Bredies: Voraussetzung für smarte Textilien ist: Der Strom muss von A nach B kommen. Die Textilien müssen also leitend werden. Wir arbeiten mit unterschiedlichen Metallfäden. Es gibt auch Stoffe, die mit Stahl- oder Silberfasern durchsetzt sind und als Sensoren eingesetzt werden können.
Süddeutsche Zeitung: Das allein macht ein Textil aber noch nicht smart.
Katharina Bredies: Stimmt. Es gibt einnähbare Elektronikelemente wie das Arduino Lilypad, die sind die Intelligenz in dem Ding. Die Stromquelle ist aktuell meistens eine kleine Handybatterie. Für die Zukunft wünschen wir uns, dass das Textil selbst den Strom macht. Aber Batteriestoff und Solarzellenstoff sind leider noch in der Entwicklung.
Das Überwachungspotenzial ist ein riesiges Problem
Süddeutsche Zeitung: Ist vernetzte Kleidung reif für den Massenmarkt?
Katharina Bredies: Vor fünf Jahren war das noch ein Nischenthema, mittlerweile bricht das als Trend schon in den Markt durch. Aktuell haben wir viele Wearables, die keine Textilien sind: Fitnessarmbänder, Uhren wie die Apple Watch, intelligente Schmuckstücke. Aber auch bei den Textilien gibt es gerade im Sportbereich schon Massenprodukte mit Sensorfunktion.
Süddeutsche Zeitung: Wie wäscht man solche smarten Kleidungsstücke eigentlich?
Katharina Bredies: Sehr vorsichtig! Unsere Textilien enthalten Metalle - und die oxidieren. Das kennt man vom Silberlöffel daheim in der Schublade. Es gibt mittlerweile aber versilbertes Garn mit einer speziellen Beschichtung, die das Oxidieren verhindert. Die Sachen müssen waschbar sein, man trägt sie ja am Körper. Ein smartes Textil ist das moderne Äquivalent zu Anzug oder Kaschmirpulli: Die trocknet man auch nicht im Schleudergang.
Süddeutsche Zeitung: Wenn die Technik uns wie eine zweite Haut überzieht und ständig Informationen versendet: Ist das nicht der Albtraum jedes Datenschützers?
Katharina Bredies: Das Überwachungspotenzial ist ein riesiges Problem. Wenn unsere Produkte persönlichste Körperdaten erheben, dann will ich die natürlich nicht mit jedem teilen. Das Problem sind nicht die Daten an sich, sondern wie wir sie in unserer Gesellschaft nutzen wollen: Wenn es darum geht, ob Krankenkassen Gesundheitsdaten von uns nutzen dürfen, um Tarife festzulegen, dann ist das eine politische Frage.
Süddeutsche Zeitung: Das spricht ja gegen Wearable Tech.
Katharina Bredies: Naja. Es gibt einerseits diese Dystopie, andererseits haben die Produkte auch unglaubliches positives Potenzial. Es ist wie mit dem Internet: Es vernetzt Menschen auf der ganzen Welt und kann helfen, Revolutionen loszutreten. Gleichzeitig bietet es das Potenzial, die Menschen auszuspionieren. Ob die Technik "gut" oder "böse" ist, hängt ab von ihrer Anwendung. Es ist unsere Aufgabe im Designprozess, sie möglichst sicher zu gestalten.
Süddeutsche Zeitung: Wird unsere Kleidung bald so smart sein, dass wir kein Smartphone mehr brauchen?
Katharina Bredies: Es geht nicht um Verdrängung. Die Frage ist: Wie erweitern Textilien die Möglichkeit, mit Elektronik umzugehen? Bei konventionellen Geräten gibt es Regler, Schalter und Touchscreens. Bei Textilien ist nichts definiert. Wir erfinden die Elektronik neu, alles ist erlaubt. Was wäre zum Beispiel, wenn mein Radio schon immer gestrickt gewesen wäre? Wenn man solche Fragen stellt, kommen aufregende Dinge heraus.
Süddeutsche Zeitung: Wie geht man denn praktisch vor, wenn man ein Radio stricken will?
Katharina Bredies: Im Moment strickt man das Radio am besten noch von Hand, oder mit einer Strickmaschine, wie es sie in den 80er Jahren gab. Das ist eine Mischung aus Handarbeits- und Elektronikbastelkurs. Manche elektrischen Bauteile lassen sich aktuell noch nicht so einfach verarbeiten, sind unbeweglich und nicht gemacht für das Arbeiten mit Textilien. In Zukunft, wenn wir textile Materialien für alle elektrischen Komponenten haben, dann ist ein gestricktes Radio auch nicht viel anders als ein komplizierter Norwegerpulli - da hat man ja auch mal ein halbes Dutzend verschiedene Materialien und komplizierte Muster.