Die New Yorker Feuerwehr will mit Big Data Brände bekämpfen. Eine Software sagt mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsmodellen die nächsten Brandherde vorher. Das stellt die Einsatzkräfte vor andere Herausforderungen.
Algorithmen können heute sagen, welches Buch wir als Nächstes kaufen, wohin wir in den Urlaub fahren und wo sich ein Stau befindet. Die New Yorker Feuerwehr nutzt einen Algorithmus, mit dem die Wahrscheinlichkeit von Bränden vorhergesagt werden kann. Firecast heißt das System. Ein Algorithmus analysiert Daten von 17 verschiedenen Behörden, um mit Hilfe statistischer Wahrscheinlichkeiten für jedes Gebäude ein Feuerrisiko zu errechnen. Das Modell funktioniert ähnlich wie bei Predictive Policing, wo auf Grundlage bestimmter Einbruchsmuster eine Prognose für Einbruchsdelikte in eingrenzbaren Gebieten erstellt wird. Analog dazu leitet Firecast aus Zusammenhängen in der Vergangenheit eine Wahrscheinlichkeit für Brände in der Zukunft ab. Die Software fahndet nach Faktoren, die mit Feuer korrelieren - etwa Gebäude, die keine Sprinkleranlage oder früher schon einmal gebrannt haben. Der Algorithmus erstellt eine Prioritätenliste, auf der steht, wo es brennt. Brände verhindern
Die New Yorker Feuerwehr ist für die Inspektion von 330.000 Gebäuden verantwortlich. Alle Gebäude einzeln zu inspizieren, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Da liegt es nahe, die Risiken mit Big Data zu verringern. Als 2007 das Gebäude der Deutschen Bank in Flammen aufging, kamen bei dem Einsatz zwei Feuerwehrleute ums Leben. Später stellte sich heraus, dass das Gebäude monatelang nicht inspiziert worden war und Brandschutzauflagen nicht erfüllt wurden. Ein solches Desaster soll künftig vermieden werden.
Die berühmte Feuerwehr, die noch mit alten Seagraves durch Manhattan düst, setzt auf moderne Datenanalyse. Jede Nacht surren im Metrotech Center, wo das Fire Department seinen Hauptsitz hat, Datenrechner und ermitteln die Brandherde von morgen. 90 Minuten dauert die Berechnung, was verglichen mit anderen Prognosen etwa beim Wetter recht wenig ist. Die ersten Versionen waren etwas grobschlächtig. Mittlerweile gibt es Firecast 3.0, das nochmal feinjustiert wurde und die 49 Bataillonsdistrikte in New York separat analysiert. Wie ein Glücksspiel mit bekannten Variablen
Der Mastermind hinter dieser Methode ist Michael Flowers. Flowers war Anwalt in Manhattan und arbeitete für das US-Verteidigungsministerium im Irak. 2009 wurde er vom damaligen New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg mit dem Aufbau eines Datenteams betraut. 2012 stieg er zum Chief Analytics Officer auf. Flowers, der inzwischen für die Analytics-Firma Enigma arbeitet, sagt Golem.de: "Ich denke nicht, dass man mit Firecast viel vorhersagt. Es ist vielmehr eine informierte Wette." Ein Glücksspiel mit mehreren bekannten Variablen.
"Wenn man zum Beispiel 200 Inspektoren für eine Million Gebäude hat, muss man logistisch planen, wo man sie hinschickt", erklärt Flowers. "Wenn man zufällig Gebäude zur Inspektion auswählt, ignoriert man die anderen Fakten, die indizieren, dass ein Haus 100 Jahre alt ist oder zahlreiche Beschwerden über unsichere Bedingungen eingingen."
Mehr Inspektionen, aber kaum weniger Brände
Wenn das Programm zum Beispiel determiniert, dass eine Mülleimerzerstörung in der Bronx ein Indikator für einen Brand ist und ein solcher Vorfall registriert wird, hat das Gebäude am nächsten Tag ein höheres Brandrisiko. Wenn am nächsten Tag in Queens in einem Haus mit einer Serie von Vandalismusdelikten ein Feuer ausbricht, wird der Algorithmus diese Daten in sein Modell einspeisen und daraus eine statistische Signifikanz ableiten. Die New Yorker Feuerwehr zeigt sich mit Firecast zufrieden. Auf Anfrage teilt die Behörde mit: "Die Institutionalisierung des Systems hat dazu beigetragen, die Zahl der vollendeten Inspektionen zu erhöhen sowie gleichzeitig sicherzustellen, dass Gebäude mit höherem Brandrisiko inspiziert werden." In den ersten 30 Tagen der Testphase seien 19 Prozent mehr Verletzungen von Brandschutzvorschriften registriert worden als in den 30 Tagen zuvor. Kurzum: Die Inspektionen sind effektiver. Daraus folgt aber nicht, dass das Brandrisiko minimiert wurde. Die Zahl der Brände ging nach Angaben des Fire Departments nur leicht zurück. Es ist wie bei der Polizei: Nur weil mehr Straftäter ins Netz gehen, muss das nicht heißen, dass die Kriminalität zurückgeht respektive die öffentliche Sicherheit erhöht wird. 13 Variablen und 60 unterschiedliche Faktoren
Doch wie präzise ist Firecast? In die Berechnung fließen 13 Variablen und 60 unterschiedliche Faktoren ein, von der Stockwerkzahl des Gebäudes bis hin zu gemeldeten Ruhestörungen. Von den 2,6 Millionen Ruhestörungen, die jährlich registriert wurden, waren 1,4 Millionen "gebäudebezogen". Allein, was hat eine Ruhestörung mit Feuer zu tun? Die Frage ist, ob hier nur Korrelationen oder auch Kausalitäten zugrunde liegen. Auch die Steuerklassifikation spielt eine Rolle. Flowers sagt: "Ein Gebäude, dessen Besitzer jahrelang keine Steuern bezahlt hat, hat eine größere Wahrscheinlichkeit, gefährlich für die Gesundheit der Bewohner zu sein." Woher er diese Evidenz nimmt, sagt er nicht. Es sagt aber viel aus über das Menschenbild der Entwickler. Armut und Kriminalität werden mit höheren Brandrisiken assoziiert. Die Algorithmen verrühren diese Faktoren zu einem kruden Brei.
Nun ist jedes Modell so gut wie die Daten, und keine Wissenschaft ist werturteilsfrei. Flowers sagt, dass Firecast bewusst Bias-inhärent ist. "Das System ist verzerrt, aber es ist eine Verzerrung, die wir haben wollen - ein Bias, um gefährliche Bedingungen herauszufinden." Es ist ein Spiel mit dem Feuer. Die Frage ist, ob man Menschen in Risikogebieten nicht stigmatisiert. Wie geht man mit dem Wissen um, dass ein Teil der Bevölkerung in einer potenziellen Feuerhölle lebt? Der Algorithmus legt ja sozusagen nur eine To-do-Liste fest. Welche Gebäude die Behörde priorisiert und wo sie ihre Inspektoren zuerst hinschickt, bleibt ihr überlassen. Brände verhindern kann der Algorithmus nicht
Einmal angenommen, es gibt vier Hochrisikohäuser in der Stadt, aber nur zwei verfügbare Einheiten. Wo geht man da hin? Lieber in die Bronx, ins Ghetto, oder doch lieber ins vornehme Manhattan? Das mag eine theoretische Frage sein, doch in der Praxis muss sie entschieden werden. "Wenn wir determiniert haben, dass ein Gebäude ein höheres Risiko für ein Katastrophenfeuer hat, sind wir rechtlich, moralisch und ethisch verpflichtet, die Sicherheit der Bürger in dem Gebäude zu gewährleisten, in dem viele arm sind", betont Flowers.
Die Feuerwehr kann nicht jedes Gebäude inspizieren. Je nachdem, wie gut die Prognose arbeitet, muss die Behörde damit rechnen, dass sie aufgrund begrenzter Kapazitäten sehenden Auges eine Brandkatastrophe zulässt. Der Algorithmus weiß vielleicht, wo es als Nächstes brennen wird - Brände verhindern kann er aber nicht.