Schnelle Vectoring-Anschlüsse: Die Nutzer wollen sie, wenn sie schon kein Glasfaser kriegen. Doch die Branche streitet sich weiter über exklusive Rechte am Hauptverteiler.
Da es kaum preiswerte FTTH-Anschlüsse in Deutschland gibt, sind schnelle Vectoring-Zugänge mit 100 MBit/s sehr gefragt. In den USA kostet ein Google-Fiber-Glasfaseranschluss mit 1 GBit/s sowohl im Up- als auch im Downstream und ohne Volumenlimit 80 US-Dollar pro Monat. Solche Preise bekommen deutsche Netzwerkbetreiber nicht hin. Zudem hat sich die Versorgung von Haushalten in Deutschland mit Fiber To The Home (FTTH) laut FTTH-Council-Chef Hartwig Tauber nur leicht verbessert.
Tauber erklärte auf dem VATM-Sommerfest im September in Berlin, dass Deutschland im Jahr 2015 "sehr wahrscheinlich" erstmals ein Prozent FTTH-Haushalte erreichen werde. In den USA verkündete Google unterdessen, dass Google Fiber mit Chicago und Los Angeles erstmals in einigen der größten US-Städte ausgebaut werden soll. Vectoring: besser als nix?
Durch Vectoring wird immerhin eine Datenübertragungsrate von bis zu 100 MBit/s im Download und bis zu 40 MBit/s im Upload möglich. Das ist noch lange kein Glasfasertempo, doch wo es angeboten wird, stößt es auf großes Interesse, wie die Abrufzahlen bei Golem.de zu diesem Thema zeigen. Auch die Telekom Deutschland gab im Dezember 2015 bekannt: "Insgesamt haben wir 2015 rund 4,6 Millionen Haushalte Vectoring-fähig gemacht."
Ohne Glasfaserausbau gebe es keinen Vectoring-Ausbau, dies sei kein Widerspruch, sagte Telekom-Deutschlandchef Niek Jan van Damme. "Wir ziehen derzeit überall in Deutschland das Glasfaserkabel von der Vermittlungsstelle an die Bordsteinkante." 2015 seien beim Vectoring-Ausbau 10.000 Kilometer Glasfaser verlegt worden. Telekom will FTTH in zehn Jahren
Tatsächlich ist der Telekom der zukunftssichere Ausbau mit FTTH zu teuer, durch Vectoring will der Konzern dies um viele Jahre verschieben. Laut einer internen Bedarfsprognose will die Telekom erst in mehr als zehn Jahren Glasfaser ins Haus legen. Demnach braucht selbst ein besonders internetaffiner Vier-Personen-Haushalt in zehn Jahren nur einen Internetzugang mit maximal 208 MBit/s im Download und 50 MBit/s im Upload. Diese Angaben stammen von Ulrich Nitschke, dem Leiter Strategieentwicklung Telekom Deutschland.
Die Telekom will sich festlegen, im Nahbereich um ihre 8.000 Hauptverteiler die Vectoring-Technik einzusetzen, aber dafür von der Verpflichtung befreit werden, dort der Konkurrenz VDSL-Anschlüsse zu ermöglichen. Der Streit darum hat bisher noch kein Ende gefunden. Insgesamt könnten so laut einer umstrittenen Rechnung der Telekom knapp 80 Prozent der Haushalte bis zu 100 MBit/s bekommen. Bundesnetzagentur will wieder etwas mehr Monopol
Die Bundesnetzagentur will die exklusiven Vectoring-Pläne der Telekom weitgehend genehmigen und damit wieder etwas mehr Monopol wagen. Allerdings will die Regulierungsbehörde andere Netzbetreiber, die sich stärker bei der DSL-Erschließung engagiert haben als die Telekom, auch beim Vectoring bevorzugen. Als Ersatz für den Nahbereich muss die Telekom ihren Konkurrenten ein lokales, virtuell entbündeltes Zugangsprodukt (VULA) anbieten und finanzielle Entschädigung zahlen, wenn sie keinen Zugang zur entbündelten TAL mehr erhalten.
Bundesnetzagenturchef Jochen Homann nannte den Entscheidungsentwurf seiner Behörde einen "fairen Kompromiss". Der Breko (Bundesverband Breitbandkommunikation) sieht indes darin "ein fatales Signal". Der Beschlussentwurf trage "nachhaltigen und zukunftssicheren Glasfaseranschlüssen leider in keiner Weise Rechnung". Auch VATM-Chef Jürgen Grützner sagte: "Aus unserer Sicht ist der heute vorgestellte Entscheidungsentwurf zu Vectoring im Nahbereich der Hauptverteiler kein fairer Kompromiss." Das wichtige Recht auf Entbündelung werde gegen eine Investitionszusage des regulierten Unternehmens aufgegeben.
Im Kupferkabel geht noch was
Allerdings ist im veralteten Kupferkabel noch einiges mehr drin als Vectoring. Die Frage ist, ob es volkswirtschaftlich sinnvoller ist, dort zu investieren oder lieber gleich auf Glasfaser bis in jedes Haus zu setzen.
Die Technik für das Kupferkabel ist vorhanden: Vectoring reduziert die gegenseitige Störung durch Far End Crosstalk (FEXT) benachbarter Kupferdoppeladern eines Kabels. Der Prozess verlangt eine hohe Rechenleistung in den aufgerüsteten DSLAMs. Das System errechnet für jede einzelne Kupfer-Doppelader eines Bündels die jeweiligen Störeinflüsse und sendet neben dem eigentlichen Nachrichtensignal ein abhängig von den errechneten Störeinflüssen erzeugtes Gegensignal in die jeweilige Doppelader. So werden die durch Übersprechen entstehenden Störsignale fast ausgeschaltet.
Doch der Vectoring-Effekt auf der Kupferleitung nimmt mit der Leitungslänge ab und ist bei der bisher eingesetzten Technik ab 700 bis 800 Metern praktisch nicht mehr feststellbar. Daher kann die Technik Glasfaser nicht ersetzen.
Dennoch arbeiten einige Firmen an Vectoring-Systemen. Supervector von Huawei etwa erweitert das Frequenzband von 17 MHz auf 35 MHz und verwendet das gleiche Modulationsverfahren wie bei VDSL2, Discrete Multitone Transmission (DMT), und den gleichen Pilotton. Das Multiträgerverfahren unterteilt sein Frequenzband in viele Subkanäle. Bei VDSL2 endet der Frequenzbereich bisher bei 30 MHz. Vplus kann noch mehr
Der Netzwerkausrüster Alcatel-Lucent richtet sich mit der Technologie Vplus an Netzbetreiber, die bereits VDSL2-Vectoring anbieten und einem Teil ihrer Kunden noch höhere Bandbreiten bieten wollen. Vplus verwendet laut Alcatel-Lucent eine höhere Frequenz als VDSL2: 35 statt 17 MHz. Dadurch sollen aggregierte Geschwindigkeiten von bis zu 300 MBit/s erreicht werden. Vplus soll mit VDSL2 17a-Vectoring kompatibel sein. Alle Leitungen könnten vektorisiert werden.
VDSL2-Vectoring eignet sich laut Alcatel-Lucent "in Gegenden mit einer hohen Dichte an Kunden in einem eher weitflächigen Teilnehmeranschluss-Bereich von bis zu 1.000 Metern" - im Gegensatz zu G.fast, das auf kleinere Netzabschnitte von weniger als 300 Metern mit niedriger Teilnehmerdichte abziele. "Genau dazwischen ist die Chance für höhere Geschwindigkeiten und Nutzerdichten. Bei Entfernungen zwischen 250 und 550 Metern erreicht Vplus bessere Leistungswerte als VDSL2-Vectoring und G.fast", erklärt der Ausrüster.
Keine Angaben wurden zur Upload-Geschwindigkeit von Vplus gemacht. Wie viel Bandbreite im Upstream tatsächlich möglich ist, hänge noch von den physikalischen Gegebenheiten ab, unter anderem von der Entfernung zwischen KVZ und Endkunde und von der Qualität des Kupferkabels, sagte eine Sprecherin Golem.de. Vplus verbinde bis zu 200 Kunden über einen Netzknoten. Damit würden zwölfmal mehr Kunden als bei G.fast versorgt.
Vplus verspricht 200 MBit/s bei Entfernungen bis zu 500 Metern und 300 MBit/s+ bei bis zu 250 Metern. Wenn die "letzte Meile" länger als 550 Meter ist, ließe sich die Strecke durch Verwendung von kleinen Vplus-KVZs oder von Micro-Netzknoten verkürzen. Huawei erreicht 400 MBit/s auf 300 Metern
Huawei erreichte mit dem Prototyp seiner Supervector-Technologie in Laborversuchen nach eigenen Angaben 400 MBit/s auf einer Kupferleitung von rund 300 Metern. Das wäre die dreifache Datenübertragungsrate des bisher bei Betreibern eingesetzten VDSL2-Vectorings. Über 800 Meter seien noch 100 MBit/s erreicht worden. Supervector sei mit VDSL2-Vectoring-Terminals kompatibel, erklärte das Unternehmen.
Xipeng Xiao, Head of Network Marketing bei Huawei, erklärte Golem.de, dass mit der Telekom über die Supervector-Technologie verhandelt werde. Huawei wolle auch die Endkunden-Router für Super-Vectoring herstellen.
Huawei erwartet in den kommenden Jahren fast überall den Übergang in die GBit-Versorgung. G.fast gilt als Nachfolgestandard von VDSL2. Es stellt Datenraten von 1 GBit/s und mehr in Aussicht und arbeitet im Frequenzbereich von 2,2 bis 106/212 MHz. In der zweiten Generation von G.fast wird der Bereich noch einmal auf 212 MHz erweitert, um Datenraten von bis zu 2 GBit/s zu erreichen. In der Schweiz nutzt Swisscom bereits G.fast-Technik von Huawei. Die Technik ist jedoch auf bestimmte Längen der Kabel begrenzt.
Mit Glasfaser sind diese und höhere Datenraten überall zu erreichen. In Neubauten in China ist FTTH bereits überall ein Standard.
Schneller mit G.fast, aber auch kürzer
Verschiedene Festnetzbetreiber erproben derzeit den Standard G.fast. In Taiwan begann im Oktober 2015 bereits der kommerzielle Betrieb. Golem.de fragte Swisscom-Sprecher Olaf Schulze, welche Datenraten dabei tatsächlich erreicht werden. In einem Test mit Kunden in der Gemeinde Biberen in einem "realen Umfeld" seien "zwischen 285 und 402 MBit/s Downstream und zwischen 85 und 109 MBit/s Upstream gemessen" worden, erklärte Schulze. "Die Geschwindigkeit ist dabei natürlich abhängig von der Länge des Kupferkabels." Genauere Angaben lagen nicht vor.
Die Swisscom testet schon seit längerer Zeit G.fast. Im April 2015 konnte das Unternehmen bei einem Feldtest in einem Dorf in der Gemeinde Buchegg erste Erfahrungen sammeln. Swisscom plant den Ausbau von G.fast für alle FTTS- und FTTB-Anschlüsse ab 2016. Der G.fast-Ausbau wird mit Huawei umgesetzt.
Alcatel Lucent teilte Golem.de am 15. September 2015 seine aktuellen Angaben zu Datenraten für G.fast mit: Bis zu 150 MBit/s würden bei 250 Metern erreicht, bis zu 500 MBit/s bei 100 Metern und bis zu 1 GBit/s unter 100 Metern.
Die Telekom war Ende 2014/Anfang 2015 weiter mit Feldtests zu G.fast aktiv, wollte aber noch keine Aussagen zum Verlauf machen. Telekom-Sprecher Niels Hafenrichter sagte: "Wir schauen uns die Möglichkeiten wie immer genau an, untersuchen Prototypen der Hersteller, um das Potenzial zu bewerten, führen Tests durch und prüfen sehr genau die Optionen. Auch unterstützen wir bei der Entwicklung eines Standards." Allerdings sei es für die Telekom noch zu früh, um über konkrete Pläne hinsichtlich der G.fast-Technologie oder Testergebnisse zu sprechen. Im Moment sei noch viel Ingenieursarbeit zu leisten.
Die Telekom wird es nicht schaffen, den Glasfaserausbau noch zehn Jahre zu verzögern, weil sie in einigen Jahren von anderen Anbietern überholt würde. Vectoring, Vplus, Supervectoring und G.fast sind ein Fortschritt, allerdings in einem obsoleten Kupfernetz. FTTH zu einem günstigen Preis - weil es mit innovativen Verfahren kostengünstig verlegt wurde - ist die Zukunft.