Wenn der Chaos Computer Club schon vor dem Chaos warnt, könnte es ungemütlich werden. Hacker sollten gemeinsam für eine bessere Zukunft kämpfen, anstatt zu streiten, welche Linux-Distribution am besten ist, fordert der CCC.
Vor zehn Jahren hat der CCC auf dem 22C3 in Berlin mit einer düsteren Zukunftsprognose für Aufsehen gesorgt. Am Dienstag gingen Frank Rieger und Rop Gonggrijp auf dem 32C3 in Hamburg der Frage nach, ob die Hacker, wie damals von ihnen behauptet, tatsächlich den Krieg gegen die Überwacher und den Sicherheitsapparat verloren haben (Video). Ihre heutige Bilanz - wen wundert's - fiel ziemlich ernüchternd aus. Die Appelle an die Hackercommunity waren fast wortgleich mit denen vor zehn Jahren. Was nicht gerade für deren Erfolgsaussichten spricht. In der Tat muten die Kassandra-Rufe von damals sehr aktuell an. Schon damals warnten Rieger und Gonggrijp vor den Folgen des Klimawandels, der eine Flüchtlingswelle in Richtung Westen auslösen könnte. Die Enthüllungen Edward Snowdens haben inzwischen die damaligen Befürchtungen vor einer umfassenden Internetüberwachung bestätigt. Pünktlich zu ihrem diesjährigen Resümee gab es Berichte, wonach es mitten im Winter auf dem Nordpol so warm wird wie in Kalifornien. "Wir erleben ein Global Weirding statt eines Global Warmings", sagte Rieger. In den Augen unserer Nachkommen seien wir die Schuldigen an einer drohenden Klimakatastrophe: "We have fucked up this planet." Nicht jeder Wandel muss schlecht sein
Was sollen die Hacker also tun? Bei der Antwort auf diese Frage taten sich Rieger und Gonggrijp schwer. Zwar sprach Rieger mehrfach von der "Mission" der Hacker. Doch deren Beschreibung blieb sehr vage. Die Community sei "teilweise dafür verantwortlich, dass die Gesellschaft ihre Fähigkeit behält, sich verändern zu können", sagte Rieger. Natürlich hin zum Besseren. Zudem sei der von Gier und Korruption geprägte Zustand der Welt nicht naturgegeben und könne geändert werden. Der naive Fortschrittsoptimismus von früher sei allerdings verloren gegangen. "In den 80ern dachten wir: Jeder Wandel ist gut. Jetzt wissen wir: Nicht jeder Wandel muss schlecht sein", sagte der CCC-Sprecher.
Doch wie sollen die Hacker die Welt hin zum Guten verändern? Selbst die im Jahr 2005 geforderte Aufklärung über die Geheimdienstpraktiken habe wenig verändert, räumte Rieger ein. "Transparenz alleine hilft nicht mehr viel." Es sei naiv gewesen, zu glauben: Wenn die Leute erstmal über die Überwachung informiert würden, werde sich etwas ändern. Auch Gonggrijp zeigte sich in dieser Hinsicht skeptisch. Inzwischen gebe es seit Snowden fast jede Woche eine Enthüllung von der Dimension des Watergate-Skandals. Doch es passiere nichts.
Der Westen hat nur bessere Pornografie
Angesichts der derzeitigen globalen Probleme wirkten die wenigen konkreten Vorschläge reichlich kleinteilig. So sollten Hacker mit ihren Fähigkeiten die Energiewende unterstützen oder Flüchtlingen helfen. Zudem könnten sie dafür sorgen, dass das Internet der Dinge nicht zu einer totalen Ausspähung führe. Wer, wenn nicht die Hacker könnten ein Siegel für ein "garantiert cloudfreies Gerät" entwickeln, fragte Rieger. Die Möglichkeit, über eine politische Partei oder Bewegung die Verhältnisse zu ändern, wurde nicht einmal erwähnt. Angesichts des Aufstiegs und Niedergangs der Piratenpartei in den vergangenen zehn Jahren ist das ebenso bezeichnend wie verständlich.
Wenig hilfreich bei solchen Analysen ist aber, sich in Verschwörungstheorien zu ergehen. So spekulierte Rieger ausführlich darüber, inwieweit Politiker durch die Geheimdienste erpresst würden, um Politik in deren Sinne zu machen. Wobei es derzeit nur noch drei Delikte gebe, mit denen Politiker erpresst werden könnten: offensichtliche Korruption, Pädophilie und Steuerhinterziehung. Leider wisse die Öffentlichkeit aber nicht, was die Geheimdienste über die Politiker wüssten.
Zwischen den Machtstrukturen in den USA, China und Europa sieht Rieger nur marginale Unterschiede. Alle drei seien "tief korrupt" und liefen auf ein einziges Modell hin zusammen. Der Unterschied zwischen dem chinesischen und US-amerikanischen Überwachungsstaat bestehe nur noch darin, dass man in dem einen System bessere Pornografie schauen könne. Gonggrijp wiederum verwies darauf, dass viele Menschen in den westlichen Industrieländern mit Psychopharmaka ruhig gestellt würden. Dadurch könne möglicherweise keine kritische Masse für Proteste entstehen. Es gibt nicht immer ein Happy End
Der Ausblick für die kommenden zehn oder mehr Jahre war daher sehr düster. Eine von Rieger gezeigte Kurve für die Entwicklung von Freiheit, Demokratie und Zivilisation war eindeutig: "Es geht alles bergab, es wird nicht sehr rosig werden", sagte er zur Erläuterung. Es sei aber unklar, wie lange der Abstieg dauern und wie tief es hinuntergehen werde. "Wir gehen harten Zeiten entgegen", sagte der CCC-Sprecher. Was aber kein Grund sei, deprimiert zu werden. Und Gonggrijp sekundierte: "Es gibt nicht immer ein Happy End, das ist Bullshit."
Trotz der düsteren Aussichten wollten die beiden Hacker auch positive Botschaften loswerden. So sei die Suche nach einem neuen Planeten für die Menschheit sinnlos und unnötig. "Die Erde wird an einem schlechten Tag immer noch besser sein als der Mars im besten Fall", sagte Gonggrijp. Und Rieger ergänzte: "Das Surfen ist gut, wenn die Wellen größer werden." Man könne durchaus Dinge verändern, wenn man nicht reinem Wunschdenken verfalle.
Das klang sehr nach Zweckoptimismus und Durchhalteparolen. Denn auch den Hackern dürfte inzwischen klar sein: Politische Verhältnisse lassen sich nicht einfach durch eine bessere Technik verändern. Eine bessere Krypto schützt nicht alleine vor mehr Überwachung. Neue Beteiligungstools machen die Welt noch nicht von selbst demokratischer. Wer wie Rieger so tief dem politischen System misstraut, dürfte darin wenig Möglichkeiten für Veränderungen sehen. Gemeinschaften spielen größere Rolle
Den Appell, sich nicht im gegenseitigen Kleinkrieg zu verlieren und neue Allianzen zu suchen, hat es vor zehn Jahren ebenfalls schon gegeben. "Wir sind nicht unsere gegenseitigen Feinde", sagte Rieger unter dem Beifall der Zuhörer. Der Feind sei etwas anderes. Die wirklichen Probleme seien viel größer als der Streit über den besten Editor und die beste Linux-Distribution. Nach Ansicht Gonggrijps spielen die Gemeinschaften in schwierigen Zeiten eine wichtigere Rolle. Selbst wenn die Welt im Chaos versinke, würde er immer noch gerne Ende Dezember zum Hackertreffen des CCC kommen, sagte der Niederländer. Im Jahr 2025 hat er dann wieder Gelegenheit, seine Thesen zu überprüfen.